Alle zwei Wochen mittwochabends werden die Tische im großen Gruppenraum des Mehrgenerationenhauses (MGH) in weiter Runde aufgestellt. Aber diesmal deuten Sonnenblumen und Rosen darauf hin, dass es kein Routinetreffen ist. Noch dazu hat Brigitte-Wolff-Vorndieck eine leuchtende „5“ auf die Fensterbank gestellt. Die „Herzkissengruppe“ feiert ein kleines Jubiläum. Seit fünf Jahren nähen die zehn Frauen „Herzen gegen Schmerzen“.
Dass die Frauen sich gut kennen, ist unmittelbar spürbar. Es wird gefrozzelt und gelacht. Aber dabei hoch konzentriert gearbeitet, das selbst gesteckte Pensum immer vor Augen. 20 bis 30 Kissen in Herzform werden an jedem Abend „produziert“. Die einzelnen Stationen auf den Tischen lassen gleich den Eindruck entstehen, dass dies sehr effektiv in Serie geschieht.
Jedes Kissen durchläuft schon einige Arbeitsschritte und benötigt eine Menge präziser Handarbeit. Motiviert werden die Frauen, die sich hier vor fünf Jahren aus Emsdetten, Greven und drei aus Saerbeck zusammengefunden haben, immer wieder durch die Dankbarbeit der Empfängerinnen. Sie spenden die Herzkissen an die Brustkrebszentren des Grevener Krankenhauses und des Franziskus-Hospital in Münster. Auch das Hospiz Haus Hannah in Emsdetten freut sich darüber.
Ein Kissen mit langen Ohren
MGH-Leiterin Brigitte Wolff-Vorndieck demonstriert, wie ein Kissen mit den langen „Ohren“ unter die Achsel geklemmt wird. Es entlastet den Druck auf die Operationsnarbe und „lindert damit den Wundschmerz“, erklärt sie. Zusätzlich würden mögliche Blockaden des Lymphsystems verhindert. Neben diesen medizinischen Aspekten „sind die Herzen Symbole für Hoffnung, Zuversicht und Anteilnahme.“ Wovon es bei Brustkrebs auch nicht genug geben kann.
Abgesehen von dem Gefühl, anderen Frauen in schwieriger Lage das Leben etwas zu erleichtern, macht das gemeinsame Nähen offensichtlich auch einfach Spaß. Wer dabei welche Aufgabe übernimmt, hat sich gleich entsprechend den persönlichen Neigungen und Fähigkeiten gefunden, erklärt Wolff-Vorndieck. Sie hat schon mit Schülerinnen in Emsdetten Herzkissen genäht und die Idee nach Saerbeck geholt.
Stress – relativ betrachtet – gibt es nur, wenn Rita Barenbrügge nicht dabei sein kann. „Sie bügelt als Einzige gerne“, erklärt eine Teilnehmerin. „Dann geht das Feilschen los“, ergänzt sie scherzhaft. Aber natürlich springt jemand ein, denn im Grunde können sich alle bei den einzelnen Arbeitsschritten aushelfen. Aber am effektivsten ist es natürlich, wenn jeder seine besonderen Fähigkeiten“ einbringen kann.
Watte wird genau abgewogen
Marlies Schlautmann schneidet am besten zu, aber wiegt bei ausreichendem Vorrat auch mit Inge Schulze Elting die Watte ab. 155 bis 160 Gramm holen sie aus dem großen Fünf-Kilo-Karton und stopfen sie in die Plastiktüte auf der Küchenwaage. Die kommen später in das Kissen, das vorher aber noch gebügelt und von Hedwig Renger zusammengenäht werden muss.
Bettina Heitjann und ihre Tochter schneiden im nächsten Schritt die Nähte vorsichtig mit der Schere ein und stülpen den Stoff um. Dann kann er mit der Watte befüllt werden und das Stopfloch von Marianne Freytag und Adele Elfering mit der Hand vernäht werden. Marlies Schlautmann, die gerade genug Watte mit ihrer Kollegin gewogen hat, heftet an jedes fertige Kissen einen Herzensanhänger, auf den Hedwig Renger in schönster Handschrift einen Genesungsgruß aus dem Mehrgenerationenhaus geschrieben hat.
Die Anhänger zieren auch die kleinen Herzkissen, die die Frauen aus den Stoffresten nähen. Sie sind für die Kinder der Patientinnen gedacht oder auch für die Eltern von „Sternenkindern“, die im Mutterleib verstorben und tot zur Welt gekommen sind.
Wieviele Kissen sie schon genäht haben, wissen die Frauen nicht. Irgendwann haben sie das Zählen aufgegeben. Einige tausend müssen es inzwischen schon sein. Um den Bedarf müsse man sich leider keine Sorgen machen, sagt Brigitte Wolff-Vorndieck. „Wir staunen manchmal über die Menge, die gebraucht wird“. Meist vergeht nicht viel Zeit, bis wieder ein Anruf aus dem Krankenhaus kommt, dass der Vorrat aufgebraucht ist. „Das ist schon erschreckend“, bekennt Wolff-Vorndieck. Aber auch nicht verwunderlich, wenn in Deutschland jedes Jahr rund 100.000 Frauen an Brustkrebs erkranken.
Idee aus den USA
Die Idee zu den Herzkissen stammt aus den USA und ist über eine dänische Krankenschwester nach Europa gelangt. Die Vorgabe ist, dass sie nicht verkauft werden sollen, auch wenn diese Regel inzwischen nicht mehr überall eingehalten wird. Deswegen dürfe man das Schnittmuster auch nicht einfach so verwenden, sondern muss es von einer Gruppe übernehmen, erklärt Brigitte Wolff-Vorndieck. Für Saerbeck stehen Nähkreise in Hamm und Osnabrück Pate.
Die Kissen sind Spenden, aber sie entstehen auch aus Spenden. Holländische Stoffe kauft Wolff-Vorndieck im Sparparadies und bekommt wegen des guten Zwecks Rabatt darauf. Ebenso gibt die Bocholter Firma Lück, bei der sie immer gleich vier Kartons bestellt, die Watte zum Sonderpreis ab. „Das ist die beste“, sagt Inge Schulze Elting, die fühle sich sehr angenehm weich an und klumpe nicht.
Mal unterstützen die Aktion „Provinzialer helfen“ oder die Stiftung Mehrgenerationenhaus die Nähgruppe, es gibt eine Spende des Franziskus-Hospitals oder es findet sich ein 20-Euro-Schein wie in der der Dankkarte von Jessica, die die MGH-Leiterin am Jubiläumsabend vorliest. Im April sei sie an Brustkrebs operiert worden und habe sich sehr über zwei Kissen gefreut, schreibt sie und bedankt sich „für das tolle Engagement“.
1. September 2023
Foto Gruppe:
Haben viel Spaß miteinander und schaffen seit fünf Jahren gemeinsam viel Freude, die Herzkissengruppe im Mehrgenerationenhaus Saerbeck: Adele Elfering (vorne sitzend) und (stehend von links) Marianne Freytag, Marlies Schlautmann, Inge Schulze Elting, Rita Barenbrügge, Bettina und Eva Heitjann, Brigitte Wolff-Vorndieck sowie Hedwig Renger an der Nähmaschine.